Oft bekommt man zu den vermeintlich einfachsten Fragen leider nur wage oder unklare Antworten. Freedom – der SCS Concept Newsletter beschäftigt sich daher in dieser Ausgabe mit dem Thema Kalibrieren und den wichtigsten Fragen und vor allem Antworten zu diesem Fachgebiet. Schwerpunkt liegt dabei natürlich auf der industriellen Schraubtechnik.
1. Was ist kalibrieren?
Kurz und knapp kann man Kalibrieren als einen Vergleich zwischen einem zu prüfenden Gerät/Messwertaufnehmer und einer Referenz/Normal bezeichnen. Vorrangige Ziele dabei sind:
- Feststellen u. Dokumentieren der Abweichung zwischen Normal u. Prüfling
- Ggf. Justage zur Minimierung der festgestellten Abweichung
- Die Bestätigung von Konformität festgelegter Spezifikationen oder zu Richtlinien- bzw. Normenforderungen
- Nachweis der metrologischen Rückführung
Wer es ganz genau wissen will, sollte in der Publikation 200 des Joint Committee for Guides in Metrology (JCGM) nachsehen – diese ist auch besser bekannt unter VIM (Vocabulaire international de métrologie), dem internationalen Wörterbuch der Metrologie. Dort findet man unter Abschnitt 2.39 die exakte Definition – was es nicht unbedingt sofort einfacher macht. Dieses kann man übrigens kostenlos direkt beim JCGM downloaden oder als ISO/IEC Guide 99 bei den einschlägigen Normenverlagen käuflich erwerben.
2. Warum Kalibrieren und was ist Rückführung?
Messungen sind ein elementarer Bestandteil der Qualitätssicherung (z.B. Prozessanalyse, Prozessüberwachung, Prozesssteuerung, Qualitätskontrolle, Kontrolle von Zulieferteilen,
Dokumentation von Verschraubungsdaten & -ergebnissen, Werkzeugüberwachung). Sinn macht dies natürlich nur mit nachweislich richtig messender Messtechnik. Regelmäßige Kalibrierungen stellen sicher, dass Messmittel richtig messen! Von Rückführbarkeit spricht man dabei, wenn die Eigenschaft eines Messergebnisses durch eine lückenlose Kette von Kalibrierungen auf nationale oder internationale Normale zurückgeführt werden kann.
Kalibriert wird also, um sicherzustellen, dass die Anzeige des verwendeten Messmittels ein bekanntes und dokumentiertes Verhältnis zu einem internationalen Normal für die verwendete Maßeinheit hat. Dabei ist das Ziel, das egal wer (z.B. Kunde oder Lieferant) wo auch immer auf der Welt zu vergleichbaren Ergebnissen kommen. Das ist immer dann von besonderer Wichtigkeit, wenn es um Verträge und/oder um Sicherheit geht. Damit das funktioniert muss sichergestellt sein, dass die „Genauigkeit“ oder besser gesagt die auftretende Messunsicherheit, bekannt ist und fachgerecht dokumentiert wurde. Denn ein gewisses Maß an „Ungenauigkeit“ oder eben Messunsicherheit ist unvermeidbar.
Die Auswahl des Messgerätes für eine Messaufgabe hängt von der zulässigen Toleranz des Prüflings ab (z.B. Schraubwerkzeug, Methode der Auswertung einer Weiterdrehmomentkurve für die Prozessfähigkeitsuntersuchung). Bei einer sehr großen Toleranz reicht ein sehr einfaches Messmittel bzw. eines mit einer höheren Messunsicherheit. Bei sehr enger Toleranz müssen sehr präzise Messmittel verwendet werden. Die goldene Regel hilft an dieser Stelle bei der Auswahl eines geeigneten Messmittels. Die Toleranzfeldbreite wird durch 10, im äußersten Fall durch 5, geteilt und dann ein Messmittel/Referenz ausgewählt, dessen Messunsicherheit geringfügig kleiner als der berechnete Wert ist.
Ein wichtiger Teil der Maßnahmen, um Vertrauen in Kalibrierungen zu gewährleisten ist das Einhalten der „Goldenen Regel der Messtechnik“. Grafik 1 zeigt denselben Zusammenhang am Beispiel von Messgeräten im Bezug auf Ihre Referenzen
Grafik 1: Goldene Regel der Messtechnik. Rückführbarkeit beschreibt einen Vorgang, durch den ein Messwert über einen oder mehrere Schritte mit dem nationalen oder einem internationalen Normal verglichen werden kann. Innerhalb der Kalibrierhierarchie nimmt die Genauigkeit nach unten zwangsläufig ab.
Um sich das Prinzip der Rückführung besser vorstellen zu können, ist der Vergleich mit einem starken Baum hilfreich. Dieser kann auch gleich als Synonym für die Stärke des Vertrauens in eine Kalibrierung angesehen werden, wie in Grafik 2 dargestellt.
Grafik 2: Rückführung heißt auch, dass der angezeigte Messwert mit dem nationalem bzw. internationalen Normal in Bezug gesetzt werden kann.
Der letzte und vielleicht sogar wichtigste Punkt für die messtechnische oder metrologisch Rückführbarkeit ist jedoch der Nachweis der Kompetenz des Kalibrierlabors. Denn kalibrieren darf praktisch jeder. Aber würden sie jedem zutrauen Messgeräte von denen der wirtschaftliche oder technische Erfolg ihrer Arbeit, die Sicherheit sowie der Gesundheit von Menschen abhängt, richtig kalibrieren zu können – so, dass jeder auf der Welt ihnen glauben schenken würde? Sicherlich nicht. Darum wird der Kompetenz und dem Kompetenznachweis des Personals von Kalibrierpersonals ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es um das Thema Rückführung geht. Um das Ziel der Gewährleistung von genauen und zuverlässigen Messergebnissen zu erreichen, braucht es die Akkreditierung von Prüf- und Kalibrierlaboren nach DIN EN ISO/IEC 17025.
Diese Norm ist der weltweit gültige Standard für die Laborakkreditierung im Bereich Prüfen und Kalibrieren. Sie legt allgemeine Anforderungen an die Kompetenz, an die Unparteilichkeit und für die einheitliche Arbeitsweise von Laboratorien fest und ist auf alle Organisationen anwendbar, die Labortätigkeiten durchführen. Sie wurde mit dem Ziel entwickelt, das Vertrauen in die Arbeit von Laboren zu fördern. Kurz gesagt: Akkreditierung ist die staatliche Prüfung der Prüfer.
Die Akkreditierungen durch nationale Behörden wie z.B. der DAkkS (Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH) sind durch Abkommen und Gegenseitigkeitsverträge international anerkannt – und damit auch die Zertifikate und Berichte der akkreditierten Stellen in den jeweiligen Geltungsbereichen. Dieses Vorgehen beseitigt Handelshemmnisse und ist für die Exportwirtschaft von kaum zu unterschätzender Bedeutung. (Sie unseren Newsletter „ILAC und international Anerkennung von Kalibrierzertifikaten“)
Grafik 3: Dies sind die fünf wesentlichen Anforderungen, um Rückführung international zu gewährleisten – damit Ihr Vertrauen und das aller gerechtfertigt ist.
3. Warum re-kalibrieren bzw. periodisch Kalibrieren?
Kurz und knapp – weil Messmittel, Messgeräte, Prüfmittel sich nun einmal verändern. Die drei Hauptgründe dafür zeigt die folgende Grafik 4.
Grafik 4: Messgeräte unterliegen Veränderungen. Die Rekalibrierung ist damit auch eine Grundanforderung der kontinuierlichen Qualitätssicherung, siehe u.a. ISO 9001:2015 Abschnitt 7.1.5.
4. Wie oft muss man kalibrieren?
Dazu gleich einmal Vorweg eine wichtige Information aus dem Leitfaden ILAC-G24:2007 / OIML D 10 von 2007, wobei ILAC und OIML hier die beiden großen internationalen Organisation der Akkreditierungstellen sind.
„Die so genannte „technische Intuition“, mit der die anfänglichen Kalibrierintervalle festgelegt wurden, und ein System, bei dem feste Intervalle ohne Überprüfung beibehalten werden, gelten nicht als ausreichend zuverlässig und werden daher nicht empfohlen.“
Glücklicherweise lässt dieses Dokument den Leser nicht allein mit der Frage nach welchen Kriterien man nun die Zeitdauer zwischen Kalibrierungen und Prüfungen festlegen kann und führt daher die wichtigsten Faktoren wie folgt auf:
- die geforderte oder angegebene Messunsicherheit;
- das Risiko, dass ein Messgerät bei der Verwendung die Grenzen der maximal zulässigen Abweichung überschreitet; B. Messmittel erfüllt gerade so die an es gestellten Anforderungen à kürzeres Kalibrierintervall, oder Messmittel übertrifft die an es gestellten Anforderungen um ein Vielfaches à längeres Kalibrierintervall denkbar;
- Kosten für notwendige Korrekturmaßnahmen, wenn sich herausstellt, dass das Gerät über einen längeren Zeitraum nicht geeignet war;
- Art des Geräts;
- Neigung zu Verschleiß und Drift;
- Empfehlung des Herstellers;
- Umfang und Schwere der Nutzung;
- Umweltbedingungen (klimatische Bedingungen, Vibrationen, ionisierende Strahlung usw.);
- Trenddaten, die aus früheren Kalibrierungsprotokollen gewonnen wurden;
- Aufzeichnungen über Wartung und Instandhaltung;
- Häufigkeit der Gegenprüfung mit anderen Bezugsnormalen oder Messgeräten;
- Häufigkeit und Qualität der zwischenzeitlichen Zwischenkontrollen;
- Transportvorkehrungen und -risiken; und
- Grad der Ausbildung des Bedienungspersonals.
Eine Auswahl von Methoden zur Überprüfung der Kalibrierungsintervalle wird ebenso vorgestellt. Das vollständige Dokument „Guidelines for the determination of calibration intervals of measuring instruments” kann auch auf der Homepage des OIML kostenfrei heruntergeladen werden (link).
Verifizieren ist wie schon in der ISO 9000:2015 Abschnitt 3.8.12 zu lesen, keine gleichwertige Alternative zum Kalibrieren, wenn es um den Nachweis der Eignung und die Sicherstellung der Rückführbarkeit geht. Das Verifizieren kann nur als schneller, routinemäßiger „Check“ des Messmittels akzeptiert werden. Fachlich korrekte Prozesse, fähige Messmittel und eine entsprechende Qualifikation des durchführenden Personals sind hier ebenfalls eine Grundanforderung.
5. Warum reicht kalibrieren nicht?
Genauso, wie man Schraubwerkzeuge vor ihrem Einsatz für eine spezifische Schraubstelle exakt auf diese einstellen bzw. parametrieren und dann ihre Fähigkeit in Form einer schraubstellenbezogenen Maschinenfähigkeitsuntersuchung nachweisen muss, so gilt dies bei Messgeräten ebenso. Eine Kalibrierung liefert in der Regel nur einen Nachweis der Fähigkeit über den gesamten Messbereich z.B. auf Basis der Herstellerangaben. Die Anwendung des Messgeräts wird hierbei nicht betrachtet – was aber zwingend notwendig ist (Siehe auch ISO 9000 Abschnitt 3.5.6 Anmerkung 2: Eine metrologische Bestätigung ist erst dann erreicht, wenn die Eignung des Messmittels für die beabsichtigte Anwendung dargelegt und dokumentiert ist.) Darum braucht es eine Messgerätefähigkeit (MGF), die im Falle eines elektronischen Drehmoment-/Drehwinkel-Messschlüssels für die Messaufgabe der Prozessfähigkeitsuntersuchung (PFU) eine statistische Fähigkeit des Messmittels nachweisen soll z.B. für 5° mit einer Toleranz von +-2°. Hierzu muss dann ein Cg/Cgk von >1,33 nachgewiesen werden unter Verwendung der eingesetzten Werkzeugeinsätze, versteht sich. Und wenn wir uns an die goldene Regel der Messtechnik erinnern, dann heißt, dass faktisch 2°/10. Am Ende braucht es natürlich noch eine MSA (Messsystemanalyse), die dann vom Anwender durchzuführen ist.
Grafik 5: Eine Kalibrierung stellt in aller Regel lediglich einen Nachweis der Messunsicherheit über den vom Hersteller angegebenen Messbereich an vorgegebenen Messpunkten unter vorgegebenen Voraussetzungen im Labor dar. Diese können und werden sich in aller Regel von der realen Anwendung teils deutlich unterscheiden. Anwender müssen daher, sinnvoller Weise, eine Messgerätefähigkeit und eine Prüfprozesseignung/Messsystemanalyse nachweisen. In den schwarzen Kästchen finden sie Hinweise dazu wer und wann die verschiedenen Nachweise erbracht werden sollen.
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Wir von SCS Concept sind für Sie da – nicht nur wenn es um Kalibrieren, Rückführung, Messgerätefähigkeit geht – wir sind Ihr Partner bei allen Fragen rund um die Schraubtechnik.